Haben Sie davon gewußt? - Deutsche Antworten. Nachw. v. Eugen Kogon
Verlag | btb |
Auflage | 1999 |
Seiten | 160 |
Format | 18,7 cm |
Gewicht | 170 g |
Reihe | Befragungsbände 1 |
ISBN-10 | 3442725410 |
ISBN-13 | 9783442725410 |
Bestell-Nr | 44272541A |
Leseprobe:
»Das haben wir nicht gewußt« - diese Antwort kriegten viele Ausländer nach dem Krieg in Deutschland zu hören. Sie wurde typisch für die Ohne-mich-Einstellung, mit der man sich 1945 der Verantwortung für die Nazi-Verbrechen zu entziehen suchte: Mich hat immer interessiert, ob die Deutschen tatsächlich so unbegreiflich uninformiert gewesen sind oder ob diese Antwort eher als eine trotzige Abwehr zu verstehen ist, mit der meine Landsleute ihre Betroffenheit verbargen.
Ich habe dann also, um Genaueres zu erfahren, vielen Menschen diese Schlüsselfrage gestellt: »Haben Sie davon gewußt?«, und ich war überrascht von der Freimütigkeit, mit der die Frage bejaht wurde. Vielleicht lag es an der uninquisitorischen Art, in der ich fragte, vielleicht haben die Deutschen aber auch inzwischen den Ungeheuerlichkeiten gegenüber zu einer anderen Einstellung gefunden. Ich habe die sprichwörtlich gewordene Antwort »Davon haben wir nichts gewußt« jedenfalls äußerst selten zu hören bekommen. Fast jeder Befragte sagte allerdings gleich erst einmal: »Nein!« Und dieses »Nein!« sollte wohl bedeuten: Ich will nichts damit zu tun haben. Nach diesem ersten schroffen Nein gab man mir dann aber freimütig das preis, was man sich in einer immer wieder notwendig vollbrachten Denkarbeit zum Abruf zurechtgelegt hatte.
Es stimmt schon, wir wissen heute alles über die KZs der Nazis, die Literatur ist unübersehbar. Wenn ich mich dennoch entschloß, die Aussagen zu veröffentlichen, so tat ich es einerseits, um die Erinnerungen an meine eigne achtjährige Zuchthauszeit in Bautzen - beschrieben in den Büchern IM BLOCK und EIN KAPITEL FÜR SICH - gebührend zu relativieren. Andererseits dachte ich mir, wenn diese Bilder, die unsere Mitmenschen noch immer mit sich herumtragen, diese schattenhaften Eindrücke, nicht aufgeschrieben und aufgehoben werden, dann ist das Leiden all der vielen Opfer noch sinnloser, als es ohnehin schon war. Aufgeschrieben und nach Hause getragen, kann wenigstens noch das Echo der Schrecken vernommen werden, es kann zur Schärfung unseres Gewissens dienen.
Der Leser sollte von der Lektüre dieser etwa 300 Antworten, die übrigens nur eine Auswahl aus meinen Aufzeichnungen sind, kein demoskopisch exaktes, repräsentatives Ergebnis erwarten. Ähnlich wie in meinem Buch HABEN SIE HITLER GESEHEN? - das in gewisser Weise als ein Pendant zu dieser Sammlung gelten kann - hat er aber die Möglichkeit, mit einer Sonde sich Zugang zu verschaffen zum gegenwärtigen Bewußtseinsstand unseres Volkes. Dem Leser meiner Romane, dieser »deutschen Chronik«, wird durch die »Befragungsbücher«, wie man sie nennen könnte, eine allgemeinere, ja chorische Begleitung und Erklärung an die Hand gegeben. Mag er die Romane für zu privat oder die »Befragungsbücher« für zu allgemein halten: In der Gegenüberstellung beider liegt die Wahrheit verborgen, ist die Antwort zu suchen auf die Frage: Wie konnte es geschehen?
Zum Schluß noch eine Bemerkung. Mir widerstrebte es, bei der Anordnung der vielen Antworten dramatische Prinzipien walten zu lassen. Ich wollte diese meistens in tiefem Ernst abgegebenen Antworten nicht durch eine zyklische Struktur künstlich zurichten. Am angemessensten erschien es mir, die Antworten chronologisch zu reihen, also nach dem Datum, da die Befragten für die jeweilige Erinnerung annahmen oder angaben, wobei sie sich allerdings zuweilen irrten. Ganz von selbst ergab es sich freilich, daß ich, ohne dieses Prinzip zu verlassen, Zusammengehöriges zusammenstellte.
Die der Berufsangabe folgende Jahreszahl nennt den Jahrgang des Befragten.
Walter Kempowski
1.
Nein, ich nicht; nee.
Kaufmann 1928
Ob ich von KZ gehört hab\'? Eigentlich weniger.
Bäcker 1917
Ich bin in einer Kleinstadt groß geworden. Ich kannte keine Juden. Wir haben mal eine Jüdin hier am Haus gehabt, die war aber lange tot, als das mit den Juden losging, das war