Das einsame Leben - Über das Leben in Abgeschiedenheit. Mein Geheimnis
Verlag | Klett-Cotta |
Auflage | 2004 |
Seiten | 387 |
Format | 13,6 x 21,0 x 3,4 cm |
Gewicht | 538 g |
Übersetzer | Friederike Hausmann |
ISBN-10 | 3608933484 |
ISBN-13 | 9783608933482 |
Bestell-Nr | 60893348A |
Francesco Petrarca - vor 700 Jahren (1304) geboren, Schöpfer des »Buchs der Lieder« (Canzoniere) und der ersten Dichtung des Humanismus in italienischer Sprache (»Trionfi«), war wegweisend für die europäische Geistesgeschichte; er steht am Anfang der Entwicklung, die zur Moderne geführt hat.
Petrarcas Leben war erfüllt von großer Rastlosigkeit. Von seinem Landsitz in der Vaucluse bei Avignon aufbrechend, bereiste er die europäischen Städte und Landschaften, er wurde in Rom zum Dichter gekrönt, lebte acht Jahre in Mailand, dann in Prag und Venedig. Und doch verdanken wir ihm unsterbliche Texte über die Askese, die meditative Abgeschiedenheit, »das einsame Leben«.
Zwei dieser auf lateinisch geschriebenen Texte sind nun zum ersten Mal in deutscher Sprache zu lesen: »De vita solitaria« zum erstenmal überhaupt, und »De secreto conflictu curarum mearum« zum erstenmal seit einem Jahrhundert wieder. Der Gegensatz zwischen ländlicher Kontemplation und städtischer, gesellschaftlic her Zerstreuung ist ihr Grundthema, so wie ihr Verfasser zwischen der Sehnsucht nach Muße und neugieriger Weltlust, ehrgeiziger Dichterleidenschaft und ruheloser Frauenliebe hin- und hergerissen war.
Eine wunderbare Entdeckung; eine heilsame Lektüre für unsere Zeit.
Leseprobe:
Ich glaube, daß ein wahrhaft geistiger Mensch nirgends Ruhe findet außer in Gott, der unser letztes Ziel ist, in sich selbst und den eigenen tiefsten Gedanken, oder bei einem anderen, ihm geistig verwandten Menschen. Obwohl nämlich die Genußsucht mit äußerst hartnäckigem Leim und mit verlockenden und süßen Schlingen versehen ist, kann sie starke Flügel dennoch nicht lange auf der Erde halten. Wenn wir aber auf der Suche nach Gott sind, nach uns selbst oder in gottgefällige Studien vertieft, durch die wir beides zugleich erreichen, oder auf der Suche nach einem geistig verwandten Menschen, müssen wir uns vom Gedränge der Menschen und dem Gewühl in den Städten möglichst weit entfernen. Daß dies so ist, wie ich sage, leugnen vielleicht nicht einmal diejenigen, denen der Zulauf und Zuspruch der Menge wichtig sind, sofern ihre geistigen Kräfte nicht schon so weit von falschen Ansichten verschüttet und niedergedrückt sind, daß sie nicht wenigstens manchmal zu sich selbst zurückfinde n und sich, wenn auch nur kriechend, auf den erhabenen Weg der Wahrheit begeben. Ich wünschte, das wäre nicht bei so vielen der Fall, und die Menschen würden sich ab und zu um die Pflege ihres Geistes so kümmern wie um ihren Acker und viele sonstige wertlose Dinge: Wie nämlich ein fruchtbarer Acker voller Unkraut, so ist der menschliche Geist voller Fehler, und wenn diese nicht gründlich ausgerissen werden, wenn beides nicht mit unermüdlicher Sorgfalt und Mühe gereinigt wird, dann sterben die Früchte des einen wie des anderen schon in der Blüte ab. Doch ich predige tauben Ohren. Darüber mögen andere denken, wie sie wollen, obwohl ich darauf vertraue, daß gebildete Menschen sich der Wahrheit nicht verschließen. Aber auch wenn alle anderen sie abstreiten sollten, wirst wenigstens du es nicht tun (ja du würdest als erster dem Zweifler entgegentreten). Du nämlich wirst in meinen Worten deine eigenen Ansichten erkennen. Damit habe ich anscheinend das höchste Ziel der Beredsamkeit errei cht: den Zuhörer - ganz mühelos - dahin zu lenken, wo ich ihn haben wollte. Jemanden, der sich sträubt, auf seine Seite zu ziehen und zu überzeugen, ist sehr mühevoll. Welche Schwierigkeit bietet dagegen eine Rede, die das Ohr des Angesprochenen erreicht, der das Gehörte bei sich bedenkt und, um zu glauben, nicht nach handfesten Beispielen, gewichtiger Autorität und scharfsinnigen Argumenten verlangt, sondern sich nur nach seinem eigenen Urteil richtet und dann zu sich selbst sagt: »So ist es«?