Verlag | Transit Berlin |
Auflage | 2022 |
Seiten | 128 |
Format | 12,8 x 1,4 x 22,0 cm |
Gewicht | 206 g |
ISBN-10 | 3887473914 |
ISBN-13 | 9783887473914 |
Bestell-Nr | 88747391A |
Ein frisch und schön geschriebener Roman über die bedrückende Atmosphäre und Unmündigkeit in einer sektenartigen Gemeinschaft und über Zufälle und Überraschungen, die das Leben bereit hält, um sich aus diesen Fesseln befreien zu können.
Manchmal beginnt mit einer tiefen Erschütterung eine Verwandlung und ein nie geahntes Aufbegehren. Die Ich-Erzählerin, ein junges Mädchen, wächst in einer streng christlichen Familie auf, die sich als Teil einer Gemeinschaft der Gläubigen sieht. In dieser religiösen Verbindung wird das Leben durch Beten, Singen, Bibelstunden, Gehorsam, Kampf gegen sündhafte Gedanken oder Taten, Beichten und klare Hierarchien bestimmt. Der Großvater ist das Familienoberhaupt, ein alter Patriarch. Seine Kinder und Enkelkinder, egal ob Mädchen oder Jungen, haben seinen Anweisungen und Vorstellungen zu folgen. Nachdem seine ihm ergebene Frau, also die Großmutter des Mädchens gestorben ist, sieht es im Apfelgarten, den die Großmutter angelegt hatte, wie der Großvater, der unablässige Streiter gegen alle Sittenlosigkeit, Tante Maria küsst. Für die Erzählerin bricht eine Welt zusammen, gleichzeitig wird ihre Neugier geweckt, was sich sonst noch hinter der Fassade der Wohlanständigkeit und Gläubigkeit ver birgt. Sie begehrt auf, stellt Fragen, besucht Verwandte - ihren Onkel, der als Missionar in Ceylon arbeitet und einen weiteren Onkel, der sich entschieden hat, in einem Kloster zu leben. Bei diesen Besuchen erfährt sie nicht nur, wie verworren, kontrovers und manchmal auch wie verrückt ihre Familie in Wirklichkeit ist, sondern auch, was ihre eigenen Bedürfnisse sind.
Leseprobe:
Du lieber Himmel... und ich erinnere mich an Großvater mit Tante Maria im Garten. Sie tollten unter den Apfelbäumen herum wie Kinder. Irgendwann blieb Tante Maria stehen und lehnte sich an einen der Stämme. Großvater küsste sie. Kurz darauf entdeckte er mich am Ende des Gartens. Ich hatte meinen Blick auf die beiden gerichtet, in stummem Erstaunen. Großvater bückte sich, suchte einen Apfel auf, warf ihn mir zu und rief: »Das bleibt unser Geheimnis!«Ein Geheimnis mit Großvater zu haben, fiel mir nicht leicht. Und dazu noch ein solches. Was fiel Großvater ein, Tante Maria zu küssen, was dachte er sich dabei? Selbst wenn Großmutter tot war, weiß ich gar nicht, wo ich beginnen soll, zu erzählen, dass das so ziemlich das Letzte war, was ich von ihm erwartet hätte. Es passte nicht zu Großvater. Nicht zu dem alten Patriarchen, der er war, nicht zum unangefochtenen Oberhaupt unserer Familie. Wenn er mich über seine Brille hinweg ansah, die Stirn in Falten gelegt, konnte ich mir sicher sei n, etwas falsch gemacht zu haben und es erklären zu müssen. Ich wählte die Worte zu meiner Rechtfertigung dann immer sorgfältig, Lügen half nicht, Großvater merkte es. Außerdem war Lügen eine Sünde.