Adorno wohnt hier nicht mehr - Erzählungen
Verlag | Edition Nautilus |
Auflage | 2019 |
Seiten | 208 |
Format | 13,6 x 21,0 x 2,2 cm |
Gewicht | 342 g |
ISBN-10 | 3960542003 |
ISBN-13 | 9783960542001 |
Bestell-Nr | 96054200A |
Walter Kempowski Preis für biografische Literatur 2019!Vor 50 Jahren, im August 1969, starb Adorno - und Jochen Schimmang übt sich in Abwesenheitsp ege. In melancholischen bis heiteren, zum Teil autobiografisch gefärbten Geschichten erzählt er von Formen und Figuren des Verschwindens. Von Menschen, Gebäuden, ganzen Vierteln; von Techniken, Gesten, Sprechweisen.Ein Jubilar versteckt sich mit seiner Frau auf dem Dachboden vor seinen Freunden, die zum 70. Geburtstag aus allen Himmelsrichtungen auf ihn einstürmen, obwohl er viel lieber nur mit zweien von ihnen essen gegangen wäre. Rothermund macht sich auf die Suche nach dem verschwundenen Maler Gutermuth. Ein Spaziergang durch Frankfurt zeigt, wer, außer Adorno, noch alles nicht mehr dort wohnt. Aber Spaziergänge sind ohnehin sterbende Institutionen, ein Sich-Verirren in der Welt kann zum Verwirren der Welt werden. Milieus, die sich nicht mehr erreichen, Nomaden in Monaden. Nur Gott ist nicht verschwunden, er taucht pünktlich um halb sieben in der Kirche auf - im Fischgrätmantel.Jochen Schimmangs feinsinnige Erzählungen gehen auf Spurensuche nach Lücken und Verlusten und zeigen zugleich, dass »Identität« eine höchst fragile Konstruktion ist.
Leseprobe:
Zurück im Niemandsland, lade ich manchmal Freunde und Nachbarn ein, und bei einem Glas Wein füttern wir die Maschine mit Aufgaben und erfreuen uns an ihrer Arbeit. Es herrscht ein gewisser Wettbewerb, wer die Resultate am weitgehendsten und präzisesten entziffern kann. Von den Freunden und Kollegen ist keiner wirklich geschickt darin, ich über ügle sie immer noch mit Leichtigkeit. Allein Herr Borgward, ein Informatiker im Ruhestand, der vor zwanzig Jahren aus Hamburg hierhergezogen ist und sich eine ehemalige Grenzbaracke mit angeschlossenem Wachturm zu einem komfortablen Heim hat umbauen lassen, ist sehr versiert, so sehr, dass er demnächst die Resultate ganz entziffern und behalten können wird. Doch er ist sehr alt und wird bald sterben, und im Übrigen hat er mir versichert, dass er an ihren Lösungen keinerlei Interesse hat. Wir trinken unseren Wein und schauen der Maschine bei der Arbeit zu, und wenn sie leise zu singen beginnt, summen wir ebenso leise mit. Schließlich, unter d em fernen kalten Schein einer Peitschenlampe auf der ehemals anderen Seite der Grenze, schlafen wir, nach aller Mühe, allem Spiel.