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Blendung als Lebensform

Blendung als Lebensform - Zur Aktualität von Elias Canetti

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Produktdetails  
Verlag Sonderzahl
Auflage 2024
Seiten 480
Format 13,8 x 3,0 x 21,0 cm
Broschur
Gewicht 580 g
ISBN-10 3854496206
ISBN-13 9783854496205
Bestell-Nr 85449620A

Produktbeschreibung  

Seit fast einem halben Jahrhundert setzt sich Franz Schuh intensiv mit dem Werk Elias Canettis auseinander. Das Ergebnis dieses Studiums ist nachzulesen in 25 Essays, die Canettis Literatur auf die ihr zugrundeliegende Lebensform hin untersuchen. Entsprechend formuliert Schuh: »Ich schreibe mir das Recht zu, zu wissen, wissen zu können, wer Elias Canetti wirklich, wer er eigentlich gewesen ist. Meine Rechtsgrundlage besteht daraus, dass ich nicht wenige Stunden meines Lebens damit verbracht habe, die Schriften dieses Autors zu studieren und zu propagieren, dass auch andere diese Schriften studieren mögen, um diese merkwürdige geistige Welt Canettis verstehen zu lernen, eine geistige Merkwürdigkeit, die ein Licht auf das Leben wirft, das wir gemeinhin führen müssen.«Canetti selbst, der Franz Schuh nie persönlich getroffen hat, fühlte sich 1985 ausdrücklich von diesem verstanden, wie er an Cilli Wang schrieb: »Übrigens hat man mir vom Verlag aus die einleitenden Worte von Franz Schu h zur Lesung im Rundfunk geschickt. Das ist heute der weitaus gescheiteste Kritiker in Wien, eigentlich der, den ich auch seines Ernstes und seiner Haltung wegen am liebsten habe. Aus seinen Worten sehe ich, wie genau er meine Absichten mit dem Buch erfasst hat: das war eine grosse Freude, ...«Schuhs Essays, die in diesem Band erstmalig gesammelt publiziert werden, begeben sich mit Canetti auf die Suche nach dem guten Menschen, befragen das Unglück des Erfolgs und den Größenwahn von Kritikern und Interpreten, handeln von Schauspielern und denkenden Dichtern, das Schreiben gegen den Tod, die Unsterblichkeit heute, Geschlecht und Verkehr und über die Theorie und Praxis von Canettis Hauptwerk Masse und Macht. Flankiert wird das Korpus von zwei großen Essays über Karl Kraus, das frühere Vorbild des späteren Nobelpreisträgers.

Leseprobe:

»Die Komödie der Eitelkeit ist wie Thomas Bernhards Heldenplatz - wenngleich auf ganz andere Weise - ein Stück über Faschismus und Nationalsozialismus, über die untergründigen emotionalen und gedanklichen Strömungen, auf denen autoritäre Gesellschaften in alle Fugen und Ritzen des privaten und öffentlichen Lebens eindringen. In der dritten Vorstellung des Stücks kam es im Burgtheater zu einem Eklat. Canetti berichtet in einem Brief davon, er war selbst im Theater. Der Eklat begann mit einem schrillen weiblichen Aufschrei aus dem Publikum, der da lautete: 'Schweinerei.' Von da an bis zur Pause ging es ununterbrochen: 'Aufhören! Vorhang! Unverschämtheit! Schweinerei!' Ganze Reihen verließen das Parkett. Canetti berichtet von einer Frau, die sich vor die Türe seiner Loge stellte und den Dichter anschrie: 'Können Sie keine Zeitkritik ohne Schweinerei betreiben!' Einige Frauen im Theater riefen: 'Wir brauchen eine deutsche Ordnung!'Canetti kommentierte das Ereignis in einem Brief vom 2 2. Mai 1979 mit den Worten: 'Ich bin noch heute davon überzeugt, dass es sich um eine organisierte Nazi-Affäre gehandelt hat, während viele Wien-Kenner der Meinung waren, es handle sich um einen Protest des alt-idiotischen Abonnement-Publikums.' Jedenfalls zeigen die Reaktionen auf die Premieren von Heldenplatz und der Komödie der Eitelkeit, wo die Schmerzpunkte eines Teils des österreichischen Establishments liegen, und es zeigt sich auch, dass dieser Teil zumindest im kulturellen Leben ausgespielt hat. Nicht nur Bernhards Heldenplatz wurde ein Erfolg, auch Canettis Komödie ging nach dieser dritten Aufführung erfolgreich, jedenfalls ungestört weiter.
Gerald Stieg, an den Canettis oben zitierter Brief gerichtet war, kommentierte den Vorfall im Burgtheater ganz in Canettis Sinn: 'Die Komödie der Eitelkeit hatte also ihre Wirkung am richtigen Ort und zur rechten Zeit getan, im Bildungstempel der Österreicher, die sich mit der Wahl des Juden Kreisky einen endgültigen Persilschein ausgestellt zu haben meinten. Ein Blick aus österreichischem Himmel. Kein Medienskandal wie bei im Voraus kolportierten Übertreibungssätzen Thomas Bernhards war dem vorausgegangen. Premierenpublikum und Kritik hatte sich im Großen und Ganzen verständnisvoll und gastfreundlich verhalten. Doch das authentische Publikum der ehrwürdigen Institution hat eben - bewusst oder instinktiv - genau verstanden, was da auf der Bühne vor sich ging. Es hat sich diese Vivisektion seiner selbst aus dem Jahre 1934 nicht gefallen lassen.'«

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