Verlag | PalmArtPress |
Auflage | 2022 |
Seiten | 296 |
Format | 15,8 x 2,5 x 21,6 cm |
Mit Lesebändchen | |
Gewicht | 516 g |
ISBN-10 | 3962581057 |
ISBN-13 | 9783962581053 |
Bestell-Nr | 96258105A |
Jeder von uns geht täglich an Menschen vorbei, die er kaum wahrnimmt und die doch im Lauf der Zeit Teil seines Lebens werden. Jeder begegnet Menschen, mit denen er regelmäßig ein paar Worte wechselt, immergleiche, belanglose vielleicht. Und manchmal will es der Zufall, dass wir auf jemanden treffen, mit dem wir zwei, drei intensive Minuten oder auch Stunden verbringen, bevor der andere für immer aus unserem Leben verschwindet.Der österreichische, in Japan lebende Autor Leopold Federmair hat über viele Jahre hinweg solche Begegnungen gesammelt, beschrieben und phantasiert. Da er in diversen Ländern auf drei Kontinenten lebte, ist daraus auch ein Kompendium kulturell ganz unterschiedlich verfasster Figuren und Situationen geworden. In einem Band versammelt, erzählen seine Prosa-Porträts als verdichtete Biographien und zugespitzte Eindrücke von sich verändernden, alten und neuen, gleichzeitigen Existenzformen. Die Verkäuferin in der Bäckerei, die alte, alleinlebende Nachbarin, die Zu fallsbekanntschaft aus der Kneipe, der Bauernjunge, der die Milch bringt, die alleinerziehende Nachbarin mit ihrem Kind, der harmlose Dorfidiot, der Jogger, der immer um dieselbe Tageszeit dieselbe Strecke nimmt, der Barkeeper als König in seinem Reich ... - sie alle kommen mitsamt ihren kleinen Kontexten ins Bild und meist auch zu Wort.Federmair betrachtet und beobachtet all dies mit Einfühlungsvermögen und mit Befremden, oft beidem zugleich. Mit seiner geschmeidigen Sprache gelingt es ihm, aus scheinbar nebensächlichen, bekannten, allzu bekannten Phänomenen Ereignisse herauszuschälen, die nach der Lektüre noch eine ganze Weile nachklingen werden.
Leseprobe:
DER AMERIKANERDen Amerikaner habe ich von der Straße aufgelesen. Und lese ihn immer noch auf. Denn er war dort verloren und brauchte eine Rast von seiner Verlorenheit. Vielleicht fühlte ich mich ihm verwandt. Fühle mich immer noch verwandt. Auf einer anderen, ferneren Bahn kam ich selbst aus Amerika. Für einen Augenblick berührten sich unsere Bahnen.DER UNSICHTARE THRONIch fragte sie, wo ich hinschauen soll, zu ihr oder auf die Verkaufsstände. Im Zimmer im fünften Stock hatte ich lange einen Punkt an der Wand zwischen zwei Porträts fixiert, ehe ich dann vergaß, irgendwohin zu schauen. Hier auf dem Markt, wo sich alles bewegte, konnte ich diesen Trick nicht anwenden."Schau, wohin du willst", sagte die Photographin. Und nach einer Pause, sanfter, als fürchtete sie, mich verletzt zu haben: "Am besten, du schaust nach innen."Durch diese Antwort fühlte ich mich frei, mit meinem Blick einzelnen Gestalten in der Menge zu folgen, und ich bemerkte, daß viele von ihnen tatsächlich stehen bl ieben, einige drehten sich sogar nach mir um. Es war, als schwebte ich auf einem Thron."Thron?" sagte Leo überrascht."Ja", bestätigte seine Gefährtin. "Thron oder Sänfte, genauer gesagt. Kaum ist eine Kamera im Spiel, halten die Leute den Mann für wichtig. Sie bleiben stehen und fragen sich, wo sie ihn schon einmal gesehen haben. Dabei ist es der Photograph, der die Bedeutung schafft. Er schafft einen Raum um den Gegenstand und hebt ihn auf den unsichtbaren Thron. Ich brauche nicht einmal die Kamera zu zücken, allein durch meine Blicke schaffe ich den Raum, den niemand betritt außer mir selbst. Und ich hebe ihn wieder auf, wenn ich will."