Ein Hund kam in die Küche - Roman. Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2023 (Longlist)
Verlag | Leykam |
Auflage | 2023 |
Seiten | 192 |
Format | 14,1 x 2,2 x 21,7 cm |
Mit Lesebändchen | |
Gewicht | 360 g |
ISBN-10 | 3701182868 |
ISBN-13 | 9783701182862 |
Bestell-Nr | 70118286A |
»Kindsein in Zeiten des Krieges«
Krieg und NS-Zeit aus der Sicht eines Kindes. Ein Roman über die Südtiroler Auswanderung und die NS-Verbrechen an Menschen mit Behinderung Eine Familie aus Südtirol entscheidet sich 1942 im Zuge der »Option» für die Auswanderung ins Deutsche Reich. Der 11-jährige Ludi erzählt von den letzten Tagen im Dorf und der ersten Station im Deutschen Reich: Innsbruck. Auf Anweisung der Ärzte muss sein behinderter Bruder Hanno in eine Anstalt bei Hall gebracht werden. Die restlicheFamilie zieht weiter nach Oberösterreich. Der Vater wird in die Wehrmacht eingezogen und auch Hanno kehrt nicht mehr zurück. Ein Brief aus einer »Heil- und Pflegeanstalt« des Reiches ist alles, was der Familie von ihm bleibt.Sepp Mall gilt als einer der wichtigsten Schriftsteller Südtirols, der sich in seinem Werk mit komplexen Themen der jüngsten Zeitgeschichte auseinandersetzt. Wie lässt sich das Unbegreifliche verstehen und wie überlebt man ein kollektives Trauma? Ein bewegender Roman, der in bilddichter Sprache der Trauer eines Kindes um seinen Bruder nachgeht.
Leseprobe:
Auszug aus "Ein Hund kam in die Küche" - © Leykam Verlag, unredigierte LeseprobeIn unserer Familie gab es keine Wörter für den Abschied. Mein Vater hatte keine und meine Mutter auch nicht. Als wären sie ihnen mit der Zeit verloren gegangen, aus dem Sprachsack gefallen, Buchstabe für Buchstabe, und irgendwo liegen geblieben, wo sie niemand mehr fand. Oder sie schluckten sie einfach hinunter, jedes Mal, wenn sie ihnen in den Mund kamen. Als wir im Frühling ein Büschel blassroter Nelken auf Mutters Familiengrab setzten, musste es so sein wie immer. Mama kniete sich auf das festgetretene Kiesbett und verzog keine Miene, als ich sie fragte, wie lange die Pflanzen wohl hielten und in wie vielen Wochen es wieder neue bräuchte. Sie beugte sich über die hölzerne Grabumrandung und drückte den Wurzelballen in das schwarze Loch, das sie mit den Händen vertieft hatte. Ich wiederholte meine Frage, Mama hielt in ihrer Bewegung inne, dann schüttelte sie nur leicht den Kopf und fuhr fort, die krüm elige Erde rund um die Blumen festzudrücken. Die Großeltern lagen hier begraben und auch sie sagten nichts. Es waren Mamas Vater und Mutter, auf dem Grabkreuz standen ihre Namen und Zahlen und da stand, dass sie in Frieden ruhen sollten. Das Todesjahr war bei beiden dasselbe, es war das Jahr, in dem ich auf die Welt gekommen war. Wenn meine Mutter davon erzählte, sagte sie, dass zuerst der Großvater gestorben war, davongegangen, nannte sie es, und eine knappe Woche später sei sie schon im Kindbett gelegen und die Hebamme habe mich mit einer Zange aus ihrem Bauch herausgeholt. Die Großmutter, die uns mit ihrem breiten Lächeln vom Grabmedaillon aus zuschaute, sei da noch dabei gewesen, aber einen Monat später, auf den Tag genau, habe auch sie sich davongemacht. Aus Kummer, sagte Mama, weil so alt sei sie noch nicht gewesen. Gerade einmal achtundsechzig. Von ihrem Mann geholt worden, hätten einige im Dorf gesagt. Nicht zu ihr direkt, nicht zu jemandem aus ihrer Familie, aber es sei i hr doch zu Ohren gekommen.