Verlag | Edition Nautilus |
Auflage | 2023 |
Seiten | 168 |
Format | 13,0 x 1,9 x 21,6 cm |
Gewicht | 292 g |
ISBN-10 | 3960543115 |
ISBN-13 | 9783960543114 |
Bestell-Nr | 96054311A |
Ein Sommer in der Normandie, in den 1980er Jahren. Der zehnjährige Erzähler verbringt die Ferien mit seiner Großmutter am Meer. Er ist noch in diesem Zustand der Kindheit, wo man alles intensiv erlebt, wo man noch nicht genau weiß, wer man ist oder wo der eigene Körper beginnt, wo eine Ameiseninvasion der Erklärung eines Kriegs gleichkommt, den man mit all seinen Kräften wird führen müssen. Eines Tages trifft er einen anderen Jungen am Strand, der ihm die Freundschaft anbietet, eine Freundschaft, die auf einem Ungleichgewicht beruht. Denn Baptiste ist ein »richtiger Junge«, hat eine »richtige Familie« - für den Erzähler der Inbegriff eines Glücks, das er dort erstmals findet und das er in jedem Moment wieder zu verlieren fürchtet.Seine geliebte Großmutter, die den Holocaust überlebte und deren Schtetl-Akzent ihn vor den anderen Familien am Strand mit Scham erfüllt, und seine verhasste »monströse« Tante bedeuten für ihn zugleich widerwillige Geborgenheit und die beständige Gegenwar t einer Vergangenheit, deren Trauma auf seinen Schultern liegt.In so gefühlvoller wie genauer Sprache erzählt Hugo Lindenberg diesen Roman in einer Reihe von Szenen des Sommers, der Stille, des Lichts, der Begegnungen, in einer Stimmung sich dem Ende zuneigender Sommerferien und doch durchzogen von einer Unheimlichkeit und Bewegungslosigkeit, die unter die Haut gehen.
Leseprobe:
Also tauchte ich ein letztes Mal in die smaragdgrünen Augen meines Freundes, bevor sie aufhören würden, bewundernd zu leuchten. Bereit, den Status des normalen kleinen Jungens aufzugeben, den ich mir so gut wie möglich angeeignet hatte. Wild rudernd, um sich an der Oberfläche zu halten, sagte er: »Ich habe noch einen Freund, der ist Jüde.« Ein paar Wellen später fügte er hinzu: »Ihr habt's gut, ich bin gar nichts.« Zwei Schwimmzüge entfernt paddelte auf dem Wasser drei Meter über dem Meeresgrund ein Junge, für den ich Quallen getötet hatte und dem ich seit einer Woche alles nachmachte, sogar meine Stimme verstellte ich, um so glockenklar zu klingen wie er. Dass er denken konnte, nichts zu sein, war die tröstlichste und komischste Sache, die ich in meinem ganzen Leben gehört hatte. Also lachte ich, und Baptiste lachte mit. Zwei kleine kichernde Köpfe an der Wasseroberfläche. Das zahnlose Gesicht meines Freundes verschwand hinter einem Wellenberg, um einen Augenblick später genau so naiv und ehrlich und laut prustend wieder aufzutauchen. Und ich liebte ihn so sehr, dass ich ihn hätte ertränken wollen.