Spanische Erzählungen - Schelmisch-melancholische Geschichten von Asturien bis Valencia
Verlag | marixverlag |
Auflage | 2022 |
Seiten | 224 |
Format | 13,2 x 2,4 x 20,3 cm |
Gewicht | 367 g |
ISBN-10 | 3737412006 |
ISBN-13 | 9783737412001 |
Bestell-Nr | 73741200A |
In einem ereignisreichen Land, wo jeder Ort, jede Region ein Universum mit ganz eigenen Verhältnissen ist, gibt es viel zu erzählen. Die Texte, hier größtenteils zum ersten Mal in deutscher Übersetzung, stammen aus der Blütezeit der spanischen Erzählung, dem 19. und frühen 20. Jh. Diese Zeugnisse der kulturellen, geografischen und thematischen Vielfalt ermöglichen es uns sowohl auf die Vergangenheit als auch auf die Gegenwart Spaniens zu blicken - und vor allem sind sie Ausdruck der lustvollen Kunst des Erzählens: satirischer Witz, melancholische Tragik, schelmische Komik und poetische Schilderungen nehmen uns mit auf eine literarische Reise durch Stadt und Land, Krieg und Frieden, Mittelalter und Moderne.
Inhaltsverzeichnis:
Vorwort; Veränderungen, Wahn und Schrecken: Verlust von Idylle auf dem Land; Adiós, Cordera!; Das Poplumps-Becken; Der Nagel; Käuze, Schufte, Schelme, Arbeit: Freuden und Gefahren der Stadt; Kommen Sie morgen wieder; Der Don Juan; Der Dungsammler; Der letzte Löwe; Barcelona; Das Husten-Duett; Räuber und Gendarm: Verbrechen, Gesetz und Widerstand jenseits der Metropolen; Das verlassene Boot; Die Läuterung; Das Weihnachtsmahl; Plötzlichkeit und Überraschung: Von Aufstand, Krieg und Veteranenfrieden; Oh, mee-iin Sooohn!; Ein ohne Vorverhandlungen, ohne Konferenzen und ohne diplomatische Noten geschlossener Frieden; Die Messe; Geister und Gemäuer: Das Mittelalter lebt weiter; Die Auferstandene; Der Seelenberg; Anhang: Quellennachweis; Bildnachweis
Leseprobe:
Der Seelenberg Gustavo Adolfo Bécquer In der Totennacht, der Nacht vor Allerseelen, weckte mich, ich weiß nicht genau, wie spät es war, der Doppelschlag der Kirchenglocken; ihr monotones und endloses Läuten rief mir diese Überlieferung in Erinnerung, die ich vor kurzem in Soria gehört hatte. Ich versuchte wieder einzuschlafen - vergebens! Einmal angespornt, ist die Phantasie ein Pferd, das durchgeht und das sich nicht mehr zügeln lässt. Um mir die Zeit zu vertreiben, beschloss ich, die Geschichte aufzuschreiben, so wie sie hier zu lesen ist. Ich hatte sie am selben Ort gehört, wo sie sich ereignet hatte, und während ich sie niederschrieb, sah ich mich mehrmals ängstlich um, wenn die Balkonfenster klirrten, die die nachtkalte Luft erzittern ließ. Wie dem auch sein mag, hier ist sie, denn der Wagen muss rollen, wie ihn die Pferde führen. I »Leint die Hunde an; stoßt ins Horn, die Jäger sollen sich sammeln, wir ziehen zurück Richtung Stadt. Die Nacht naht, es ist Allerheiligen, und w ir befinden uns hier auf dem Seelenberg.« »Wie die Zeit vergeht!« »An jedem anderen Tag würde ich noch mit diesem Rudel Wölfen fertig abrechnen, die der Schnee von Madriguera aus ihrem Bau getrieben hat; aber heute - unmöglich. Bald wird beim Templerorden das Gebet ertönen, und die Seelen der Verstorbenen werden ihre Glocke in der Bergkapelle läuten.« »In dieser verfallenen Kapelle! Puh - willst Du, dass ich graue Haare bekomme?« »Nein, liebste Cousine; Du weißt nicht, was in diesem Land alles vor sich geht - Du bist ja auch erst seit einem Jahr hier und kamst von so weit. Halt Deine Stute im Zaum; ich zügle meine auf dasselbe Tempo, dann erzähle ich Dir unterwegs die Geschichte.« Die Pagen versammelten sich in heiteren und hektischen Grüppchen; die Grafen von Borges und von Alcudiel ritten ihre stattlichen Pferde, und sie alle folgten den Kindern der Grafen, Beatriz und Alonso, die das Gefolge mit beachtlichem Vorsprung anführten. Und so hat Alonso während des Ritts die versproch ene Geschichte erzählt: »Dieser Berg, den man heute den der Seelen nennt, gehörte den Templern, deren Konvent Du dort am Flussufer siehst. Die Templer waren Krieger und Mönche zugleich. Nach der Rückeroberung Sorias von den Mauren ließ der König sie von weither holen, um die Stadt von der Brücke aus zu verteidigen, was zu einer erheblichen Ehrverletzung des Adels von Kastilien führte, der die Stadt allein hätte verteidigen können, so wie er sie alleine erobert hatte. Zwischen den Rittern des neuen und mächtigen Ordens und den Edelmännern der Stadt gärte über Jahre, bis er sich schließlich entfesselte, ein tiefer Hass.