Vater, unser See wartet auf dich - Erinnerungsstücke und nachgerufene Verse
Verlag | Leitner |
Auflage | 2023 |
Seiten | 112 |
Format | 12,9 x 1,4 x 21,7 cm |
Gewicht | 240 g |
Reihe | edition Das Gedicht |
ISBN-10 | 3929433397 |
ISBN-13 | 9783929433395 |
Bestell-Nr | 92943339A |
Am 3. Mai 2021 verstarb der beliebte Schulleiter und polyglotte Altphilologe Anton Josef Leitner. Sein überschäumendes Temperament in Kombination mit altbairischem Witz und Columbo-artiger Schrulligkeit machten den Vollblutpädagogen zu einem unverwechselbaren Original. Anton G. Leitner, sein einziger Sohn, verarbeitete ein Jahr lang den schmerzlichen Verlust in mal wehmütigen, mal urkomischen Nachrufen. Die chronologische Anordnung dieser vielfarbigen und vielstimmigen Erinnerungsstücke zeichnet den gedanklichen Weg der Trauerarbeit nach. In Thema und Form heterogen, wechseln sich knappe, kurzzeilige Gedichte mit Prosaminiaturen im Blocksatz ab. Zum zweiten Todestag von Anton Josef Leitner erscheinen mehr als vierzig poetische Erinnerungsstücke in einem Band, der Anton G. Leitners Vater und seine große Menschenliebe im öffentlichen Gedächtnis lebendig hält.
Leseprobe:
Der dir Halt gab so oft, am Ende selbst halt-los, droht zurückzusacken auf die Klobrille,halbseitig gelähmt, während wir zu dritt ver-zweifelt versuchen, ihn zu fassen, ihm unterdie Arme zu greifen, damit er zurückkannins Bett, endlich wieder zum Liegen kommt.Aber er stemmt sich mit Bärenkräften da-gegen, krallt sich fest am Türstock. »Los-lassen, bitte lass los, keiner von uns kanndich länger halten.« Aber er klammert weiter,wehrt sich, will sich nicht fallenlassen, nurnicht aufgefangen werden, schreit, vielmehrlallt: »Neejm, Neejm« - er, der so Wort-mächtige scheitert jetzt schon am WörtchenNein und nochmals am Nein, er ist schlicht-weg nicht mehr von der Stelle zu bewegen,droht ganz in sich zusammenzusinken. »Esgeht einfach nicht mehr, ich kann dich nichtlänger«, und ich komm nicht an ihn ran, esist viel zu wenig Platz, wenn ich nur wüsste,wie man einen Hilflosen am besten anfasst,der schon weit weg ist mit den Augen undnoch panischer wird, als ich zum Handygreife in meiner gro ßen Verzweiflung undEins-Eins-Zwei tippe: »Bitte kommen Sieschnell, kommen Sie bitte!« Da schreit ernur noch: »Neejm, Neejm, Neejm«, in einemfort: »Neejm«, und ich wünschte, ich wärenoch weiter fort, als er es schon ist. Auf derTrage draußen, eingerahmt von Notarzt undSanitätern, hebt er noch eine Hand zum Ab-schiedsgruß, auf einmal wieder souveränwie eh und je, fast Aristokrat oder Segenerteilender Priester, Don Antonio, und ichrufe und ich rufe ihm laut nach: »Vater,komm bald wieder, wir brauchen dich hier,denn ohne dich ist es viel zu still im Haus!«Weßling, 22. Januar 2022