Verlag | Dagyeli |
Auflage | 2023 |
Seiten | 168 |
Format | 18,3 x 2,0 x 26,2 cm |
Gewicht | 340 g |
ISBN-10 | 3935597991 |
ISBN-13 | 9783935597999 |
Bestell-Nr | 93559799A |
Die Hinrichtung eines berühmten Dirigenten 1937, eine »Medizinerverschwörung« 1972 und der Tod einer Journalistin 1983 in einer psychiatrischen Anstalt, drei reale Ereignisse im sowjetischen Georgien, die ein verstörendes wie erhellendes Bild von einem Land wiedergeben, das hinter der Klischeekulisse verborgen ist. Die Investigativjournalistin Shorena Lebanidze legt erneut eine lebenspralle, preisgekrönte literarische Reportage vor, die durch ihre einfühlsame Erzählweise brilliert.
Leseprobe:
Und die Schreibmaschine folgte alsbald einer Liste von Vorwürfen: »Es hat sich herausgestellt, dass der als Mitglied der rechtsgerichteten antisowjetischen Organisation und als Spion entlarvte Evgeni Mikeladze auf Anordnung des seit September inhaftierten ehemaligen Leiters der Abteilung für Kunstangelegenheiten, Ermaloz Gordeladze, schädliche Tätigkeiten im Opernhaus ausgeführt hat: Er verfolgte und belästigte Sänger, die Mitglieder der Kommunistischen Partei waren. Er säte Zwietracht unter den Angestellten, unterdrückte einheimische Musiker, erhöhte eigenmächtig das Gagenbudget und beabsichtigte den künstlerischen Plan des Theaters scheitern zu lassen ...«»Ich habe meinen Favoriten mehr Proben als nötig zugestanden und die Sänger, die Parteimitglieder waren, bewusst eingeschränkt. Ich zwang Azmaipharashvili, unvorbereitet als Dirigent aufzutreten, was das künstlerische Niveau der Aufführungen senkte, sich negativ auf die finanzielle Situation des Theaters auswirkte und Azmaiphar ashvili in seiner beruflichen Entwicklung behinderte. Ich zahlte den von auswärts eingeladenen Orchestermitgliedern ein hohes Gehalt, ich zahlte drei- bis vierhundert Rubel für ihre Mietwohnungen. Die örtlichen Musiker baten mich auch um Gehaltserhöhung, weshalb das Gagenbudget wuchs ...«Mikeladze wusste nicht, wie lange das Verhör bzw. der Vorgang des Diktierens der vorbereiteten Aussage gedauert hatte. Er hatte das Zeitgefühl verloren. Genauso wenig konnte er einschätzen, ob es Tag oder Nacht war. Ringsum war es dunkel, nur dunkel. Dann blitzte irgendwo etwas auf. Das kalte Licht der in einem Metallgeflecht steckenden Glühbirne ließ ihn die feuchte Wand des Korridors, die Betonplatten, die Spitze eines Bleistifts, die scharfen Scherben einer zerschlagenen Flasche, den glänzenden Lauf eines Revolvers, hochgekrempelte Ärmel, die eisernen Pranken Kobulovs erkennen. Im Hintergrund waren dumpfe Flüche, lautes Knarren, das Zuschlagen einer Tür und plötzliches Krachen zu hören. Die Tas ten der Schreibmaschine klackerten nervenaufreibend wie tropfendes Wasser. Es war, als würde Blut sickern, das Leben dahinschwinden. Er hätte nicht zu sagen gewusst, wie dieser Zustand hieß, in dem er sich befand: Schlaf oder Bewusstlosigkeit, Wachsein oder Wiedererlangen der Besinnung. Er wusste nicht, ob er sich in einer Ohnmacht befand oder wirklich sah, wie Kobulov ihm das Protokoll des Verhörs mitsamt einer Feder in die Hand drückte und mit dem Finger auf die für die Unterschrift bestimmte Stelle tippte: »Namen und Vornamen deutlich schreiben, ist das klar? Schnell!«