Verlag | Edition FotoTapeta |
Auflage | 2019 |
Seiten | 96 |
Format | 13,0 x 22,2 x 0,8 cm |
Klappenbroschur | |
Gewicht | 156 g |
Übersetzer | Thomas Weiler, Tina Wünschmann |
ISBN-10 | 3940524808 |
ISBN-13 | 9783940524805 |
Bestell-Nr | 94052480A |
"ich kam zur welt
mit diesem wanderzirkus in mir.
einem zirkus, denk mal an,
in einem polessischen dorf.
jongleure, akrobaten,
bärtige jungfrauen ...
diese schande!
mein wanderzirkus
wuchs gemeinsam mit mir,
wie ein wolfsjunges fleisch will,
wollten sie budenzauber
und freie bahn. (...)"
Die erste Gedicht-Sammlung der belarussischen Lyrikerin auf Deutsch. Mit einem Nachwort von Valzhyna Mort.
Leseprobe:
"Wenn mein Blick über Julia Cimafiejevas kurze Zeilen geht, sehe ich Gedichte,
die davonlaufen, die davoneilen, die nicht eingefangen werden
wollen; einbeinige Gedichte - ein Bein auf dem Blatt, eins
außer halb. Ihrer Stimme ist jede Nostalgie für Beständigkeit
und Bestätigung fremd. Die Gedichte greifen aus wie Eisenbahngleise,
bewegen sich wie Grenzlinien. Das sind Gedichte
für die Atemlosen: ob in den Straßen einer Stadt oder auf
einem Waldpfad, sie greifen aus, sie biegen plötzlich ab, als
wollten sie ihre Leser an der Ecke eines Zeilenwechsels stehen
lassen.
Die Tradition belarussischer Lyrik hatte lange zu tragen an der
undankbaren Last nationaler Selbstbestätigung. In einem kolonialen
Kontext, wo die eigene historische Existenz ständig in
Frage gestellt wird, wo das eigene Gefühl kultureller Zugehörigkeit
heruntergebrochen wurde auf eine Spur Spucke,
hingerotzt in einer hitzigen Auseinandersetzung über Sprache,
Grenzen, Künstl er und Generäle, dienten Gedichte, geschrieben
meist von Männern, stets als Bestätigung von Männlichkeit
und Staatlichkeit, als Wiege abstrakten Pathos', als lyrisches
Ich, das seine formellen Verbeugungen im schlecht sitzenden
Kostüm des nationalen Ichs absolvierte.
Unter diesen Dichtern der kulturellen Selbstbestätigung und
den Dichtern des Schweigens (nennen wir sie so, diese vielen
Dutzend belarussischen Künstler, die in den Jahren der Stalinschen
Repression ermordet wurden), erklingt die Stimme einer
Frau - und eine Frau ist in einer patriarchalen Welt immer auf
eine Art Immigrantin -, deren Sprache hart ist, bestimmt und
präzise." Aus dem Nachwort von VALZHYNA MORT.